Digital Law

Der Erschöpfungsgrundsatz bei digitalen Werken

1. Februar 2022

– Gastbeitrag von Aline Altenhoff

I. Rechtsquellen und Einordnung

Der Fragenkreis um die Anwendbarkeit des urheberrechtlichen Erschöpfungsgrundsatzes auf sog. digitale Werke ist exemplarisch für die Anpassungserfordernisse des traditionellen Urheberrechts an die Gegebenheiten der voranschreitenden Digitalisierung. In den §§ 17 Abs. 2 und 69c Nr. 3 S. 2 UrhG normiert, ordnet der Erschöpfungsgrundsatz an, dass ein mit Zustimmung des oder der Urheber*in innerhalb der Union oder des EWR in den Verkehr gebrachtes Werk ohne weitere Zustimmungserfordernisse weiterverbreitet werden darf. Essentiell ist mithin das Vorliegen einer Verbreitungshandlung. Zweck der Normen ist es, die Verkehrsfähigkeit von Waren sicherzustellen.[1] Während § 17 Abs. 2 UrhG durch Art. 4 Abs. 2 InfoSoc- Richtlinie (RL 2001/29/EG) geprägt ist, ist für den § 69c Nr. 3 S. 2 UrhG der Art. 4 Abs. 2 Software- Richtlinie (RL 2009/24/EG) maßgebend.

Seiner originären Konzeption nach bezieht sich der Erschöpfungsgrundsatz auf körperliche Werke. Nun ist jedoch längst nicht mehr jedes Schriftwerk in einem Buch verkörpert und nicht jede Software befindet sich etwa auf einer CD. E-Books und Software, die via Download erworben werden, sind Teil unseres Alltags geworden. Was bedeutet das nun für die Frage der Erschöpfung am zugrundeliegenden Werk?

II. EuGH- Rechtsprechung

Angesichts der europarechtlichen Prägung der den Erschöpfungsgrundsatz verankernden Normen, verwundert es nicht, dass sich auch der EuGH bereits mit ebendieser Frage zu befassen hatte. Betreffend Software entschied der EuGH anhand eines Geschäftsmodells, das auf dem Handel mit „gebrauchter“ Software gründete, dass Art. 4 Abs. 2 Software-RL dahin auszulegen sei, dass Erschöpfung eintrete, wenn der oder die Erwerbende einer Programmkopie diese in unkörperlicher Weise, also durch Download, erhalte.[2] Zur Begründung wird die wirtschaftliche Vergleichbarkeit von körperlich und unkörperlich verbreiteter Software angeführt.[3]

In einem zweiten Urteil hatte der EuGH sodann darüber zu entscheiden, ob der online Handel mit „gebrauchten“ E-Books vom urheberrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz gedeckt ist.[4] Anders als Software fallen E-Books, ebenso wie zum Download erhältliche Musik- und Hörbuchdateien, in den Geltungsbereich der InfoSoc- Richtlinie. Hier war der EuGH der Ansicht, es liege eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe i.S.d. Art. 3 Abs. 1 InfoSoc- Richtlinie vor, sodass keine Erschöpfung eintreten könne.[5] Zur Begründung bringt der EuGH vor, die Überlassung eines Buches in körperlicher Form und als E-Book sei weder wirtschaftlich noch funktionell vergleichbar.[6] Das „gebrauchte“ E-Book sei mangels Verschlechterung der perfekte Ersatz für ein neues.[7]

III. Kritik und Appell

Dem UsedSoft– Urteil folgend, erschöpft sich das Verbreitungsrecht an digital vertriebener Software nach Art. 4 Abs. 2 Software- Richtlinie. Mit Blick auf das deutsche Recht wäre § 69c Nr. 3 S. 2 UrhG daher analog auf diese Fälle anzuwenden. Dieses Ergebnis ist durchweg interessengerecht und zeitgemäß, denn es hat die digitalisierungsbedingte Substituierbarkeit körperlicher Werke durch solche digitaler Art im Blick.

Vor diesem Hintergrund muss dem Tom Kabinet– Urteil indes die Gefolgschaft verweigert werden. Das Urteil ist insbesondere unter zwei Gesichtspunkten kritisierbar, die sich einen gemeinsamen Ausgang teilen; die fehlerhafte Annahme einer Handlung der öffentlichen Wiedergabe i.S.d. Art. 3 Abs. 1 InfoSoc- Richtlinie.

Zunächst fordert der EuGH in ständiger Rechtsprechung zum Öffentlichkeitsbegriff das Erreichen eines neuen Publikums, an das zuvor nicht gedacht wurde.[8] Dass der oder die Rechtsinhaber*in an einem E-Book nicht an mögliche Zweiterwerber*innen desselben denkt, ist konstruiert.[9] Zum einen bezweifelt wohl niemand, dass im Falle eines physischen Buches sehr wohl an Zweiterwerber*innen gedacht wird. Zum anderen findet die Entscheidung zur Digitalisierung eines Schriftwerkes bewusst statt. Wird diese in der Erwartung eines höheren Profits getroffen, sind auch die übrigen wirtschaftlichen Konsequenzen zu tragen.

Ferner widerspricht sich der EuGH in seinem Tom Kabinet– Urteil selbst. Ausgerechnet in UsedSoft nahm dieser nämlich auch die InfoSoc-Richtlinie in den Blick und stellte diesbezüglich fest, dass eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe i.S.d. Art. 3 Abs. 1 InfoSoc- Richtlinie durch Eigentumsübertragung zu einer Verbreitungshandlung nach Art. 4 Abs. 1 InfoSoc- Richtlinie werde.[10] Eine solche Eigentumsübertragung wird im Falle des Handels mit „gebrauchten“ E-Books in aller Regel stattfinden. Da keinerlei Gründe ersichtlich sind, weshalb dieser Grundsatz nicht fortgelten soll, kollidiert der EuGH hier mit seinem eigenen Postulat.

Es handelt sich bei der digitalen Überlassung eines E-Books also nicht um eine öffentliche Wiedergabe, sondern um eine Verbreitungshandlung, die eine Erschöpfung auslöst, Art. 4 Abs. 2 InfoSoc- Richtlinie. Übertragen auf das deutsche Recht ist § 17 Abs. 2 UrhG hier analog anzuwenden. Dieses Ergebnis verhindert, dass der Digitalisierung entstammende Waren zur Errichtung von Handelsschranken führen, die dem Binnenmarktziel des freien Warenverkehrs zuwiderlaufen.


[1] Götting, BeckOK UrhR, § 17, Rn. 38.

[2] EuGH EuZW, 2012, 658- UsedSoft.

[3] Ebd. Rn. 61.

[4] EuGH GRUR 2020, 179- Tom Kabinet.

[5] Ebd. Rn. 72.

[6] Ebd. Rn. 58.

[7] Ebd.

[8] Vgl. Anm. Ohly, GRUR 2020, 184 (185).

[9] ähnlich Ebd.

[10] EuGH EuZW, 2012, 658, Rn. 52- UsedSoft.



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